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Begleitheft

Zur Ausstellung Held oder Hassfigur? Der Leipziger Liebknecht erscheint ein  kostenloses Begleitheft
das hier heruntergeladen werden kann.

 

 

VORWORT — DR. ANSELM HARTINGER UND DR. JOHANNA SÄNGER


Die Ausstellung Held oder Hassfigur? Der Leipziger Liebknecht weist anhand der Biographie von Karl Liebknecht den Weg zurück in die Entstehungszeit sozialer Bewegungen und sozialistischer Ideen in Leipzig und Deutschland. Die Stadt spielte vor und nach der Reichsgründung für die Etablierung einer modernen parteipolitischen Landschaft sowie wirksamer sozialer Interessenvertretungen eine zentrale Rolle. Der 1871 in Leipzig geborene Karl Liebknecht verbrachte mit seinen Eltern Natalie und Wilhelm Liebknecht und seinen Brüdern nur die Kindheit und Jugend hier. Ab 1890 vor allem in Berlin lebend, ist er bis heute eine zugleich bekannte wie umstrittene Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Ähnlich wie sein Vater Wilhelm Liebknecht sowie andere führende Männer der Sozialdemokratie war er ab 1907 sowohl verehrtes Vorbild bei organisierten Arbeiter*innen und Linken, wie verhasstes Feindbild im konservativen Lager. Politische Karikaturen in populären Satirezeitschriften wie Kladderadatsch oder Simplicissimus ebenso wie im linksorientierten Wahren Jakob illustrieren diese gespaltene Wahrnehmung durch die Jahrzehnte.
Der bis heute nicht in allen Hintergründen dokumentierte, durch Reichsregierung und Behörden jedoch mindestens gebilligte Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 spaltete die Arbeiterparteien dauerhaft. Eine Entwicklung, die auch nach 1945 im geteilten Deutschland Folgen hatte: Während Liebknecht, Luxemburg und andere frühe Kommunist*innen in der Bundesrepublik zumindest bis zur Studentenbewegung 1968 keine besondere Aufmerksamkeit erfuhren, avancierten sie in der DDR zu „Vorkämpfer*innen“ des sozialistischen Staates. Und obwohl Liebknecht als Antimilitarist bekannt wurde, überhöhte ihn die Staatspartei SED auch zu einem „Helden“ in militärischem Sinne. In Leipzig wurde das Geburtshaus in der Braustraße als Karl-Liebknecht-Gedenkstätte zum Ort ritualisierter Feiern. Bis heute ist die Erinnerungslandschaft Ostdeutschlands viel stärker von diesen Gedenkanstrengungen geprägt als die der westdeutschen Bundesländer, auch wenn seit 1990 nur noch wenige Traditionslinien weitergeführt wurden.

Unsere Ausstellung setzt sich das Ziel, hinter den Deutungen und Instrumentalisierungen den Menschen und politischen Aktivisten Karl Liebknecht in seiner Größe und Ambivalenz wiederzuentdecken und dabei die Besucher*innen zu einem eigenen Urteil herauszufordern. Sie will die Brüche und offenen Fragen in Biographie und Erinnerungspolitik gerade nicht kitten, sondern zur Auseinandersetzung über Arbeitnehmerrechte, Frieden, Parlamentarismus und Konfliktaustragung in der politischen Debatte beitragen. Diese Ausstellung wurde nur möglich dank Leihgeber*innen und Unterstützer*innen, Privatpersonen und anderen Museen und Archiven. Ein besonderer Dank geht an die Enkelinnen Marianne Liebknecht und Maja Liebknecht. Sie unterstützen das Stadtgeschichtliche Museum in großzügiger Weise schon seit Jahren mit Leihgaben und Schenkungen persönlicher Gegenstände von Karl Liebknecht und seiner Familie sowie von Kunstwerken.
Dank der Förderung aufgrund eines Stadtratsbeschlusses konnten wertvolle Objekte im Sammlungsbestand restauriert werden. Dazu gehören zwei auf Glas gemalte Porträts von Wilhelm Liebknecht und August Bebel sowie fünfzig vom Zerfall gefährdete politische Flugschriften aus dem Ersten Weltkrieg – darunter seltene Flugblätter der Spartakusgruppe. Sie wurden entsäuert und digitalisiert. In der Ausstellung kann man sich mit diesen programmatischen Texten auseinandersetzen und sie nun auch jederzeit über unsere Sammlungsdatenbank im Internet einsehen – so, wie sich das Museum im ausstellungsbegleitenden Vermittlungsformat LIEBKNECHT BY BIKE auf die Suche nach Spuren der Familie sowie der historischen Arbeiterkultur in der Leipziger Südvorstadt begibt. Die Geschichte gerade auch der Leipziger Arbeiterbewegung war widersprüchlicher, spannender, pluraler und relevanter, als es uns allzu parteiliche Geschichtsschreibungen lange glauben machen wollten. Blicken wir dem Mann hinter der berühmten Brille offen in die Augen und machen uns unser eigenes Bild von ihm!