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Michaela Weber, Vorstandsmitglied der GEDOK Mitteldeutschland e.V. und Projektleiterin, zur Idee der Ausstellung:

Zu Beginn dieser Unternehmung stand eine Anfrage einer Ausstellungsmöglichkeit der GEDOK Mitteldeutschland e.V. an das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig. Der 90. Geburtstag der GEDOK stand vor der Tür und das Wirken des Künstlerinnennetzwerks – mit und für die Künstlerinnen als auch mit und für die Stadt – sollte der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Dem Ansinnen nicht abgeneigt, nahm eine gemeinsame Begehung der derzeitigen Ausstellung eine andere Wendung: wo sind nur die Frauen in der gezeigten Stadtgeschichte? Frauen sind doch nicht nur Beiwerk, Vignette oder Dekoration der Geschichte! Öffentlich oder verborgen, mit dem Einfluss auf ganze Regionen oder nur auf die Familie, mit Geschick, Wissen und Mut als auch Finanzkraft lenkten Frauen ebenso wie Männer den Weltenlauf.

Ein Konzept nahm nach vielen Überlegungen Gestalt an, welches diese Leerstellen beseitigen, die Frauen ans Licht holen wollte. Mit einer Ausschreibung erging eine Aufgabe an die Künstlerinnen: zeigt die Frauen und ihre Geschichte! Interveniert! Somit verband sich der ursprüngliche Wunsch mit einer neuen Idee: Künstlerinnen zeigen ihr Schaffen und Wirken, welches gleichzeitig (bewusst?) Verborgenes, bisher nicht Gezeigtes oder gar Vergessenes an den Ort bringt, in der auch die Erinnerung den Weg in die Zukunft öffnen soll.

Ein große Anzahl von Künstlerinnen und Künstlern innerhalb und außerhalb der GEDOK stellten sich der Aufgabe, eine Jury wählte 20 von ihnen aus. Die künstlerischen Arbeiten bedienen sich verschiedener Mittel des Ausdrucks, von Malerei, Zeichnung und Drucktechniken zu Bildhauerei und Installationen, welche sich auch im musikalisch-atmosphärischen Raum bewegen, als auch Fotografie und nicht zu vergessen der Sprache und Performance. Die Arbeiten entstanden ganz aktuell oder in vergangenen Jahrzehnten, nehmen aber immer den Bezug zur Geschichte auf und verweisen in die Zukunft. Die Interventionen zeigen jetzt Frauen jeden Alters und verschiedenen Hintergrunds, erfolgreiche als auch verfolgte Frauen, Frauen des Alltags als auch hochgestellte Frauen des Adels und der (heiligen) Verehrung. Nicht nur als Feststellung. Auch als Frage des Denkens und Urteilens über diese Frauen an sich selbst und die Gesellschaft.

An einem solch prominenten Ort der Stadt Leipzig stehen zu können und damit das Wirken der GEDOK Mitteldeutschland und den Anspruch der Künstlerinnen an sich selbst und ihr Werk sowie ihr künstlerisches wie auch feministisches und politisches Ansinnen zu zeigen, das ist eine großartige Kombination von Zeit, Ort und Möglichkeiten aller Beteiligten. Man sollte dies auch nicht als Eintagsfliege (oder „Zweimonats-Schmetterling“) betrachten. Wir alle stehen in einer Zeit, in der wir in verschiedenen gesellschaftlichen Debatten unsere Zukunft aushandeln und unter deren Einfluss wir stehen. Die GEDOK als Plattform von mitteldeutschen Künstlerinnen ist ein Teil davon. Sie nimmt Einflüsse auf und gibt Einflüsse wieder: im Stadtgeschichtlichen Museum nimmt sie im ganz konkreten Fall die Frage auf, wessen Geschichte erzählt wird, welche Akteure gezeigt werden und für die Zukunft: wie soll warum wessen Geschichte vermittelt werden, gerade in Bezug auf Frauen, die ja bekanntermaßen „die eine Hälfte des Himmels besitzen“. Genau diese Hälfte sollte von HistorikerInnen und KuratorInnenen, auch von JournalistInnen, aufgegriffen und untersucht werden, konkret im Hier und Jetzt.

Geschichte ist nur ein Teil künstlerischen Schaffens – Raum und Zeit können in der Kunst aufgehoben oder verschoben werden, Zukunftsvisionen und Bewusstseinswandel die Realität verändern.

Mit der hier gezeigten Ausstellung freut sich die GEDOK Mitteldeutschland ins Gespräch zu kommen: als Darstellung oder Debatte in der Zeitung, als Diskussion unter den BürgerInnen der Stadt, im Dialog mit den KünstlerInnen, direkt im Museum oder außerhalb. Sie wird sich auch in Zukunft mit verschiedenen Aspekten des Lebens beschäftigen, sich an weiteren Orten der Stadt Leipzig wie auch Mitteldeutschlands zeigen und Fragen aufwerfen, angenehme wie unangenehme, als ein selbstverständlicher und beständiger Teil des Lebens, der Geschichte und Zukunft dieser Region.  

Fragen an Petra Kießling, Vorsitzende GEDOK Mitteldeutschland e.V.:

Was war Ihr Anlass, sich auf das Projekt einzulassen?
Ausgangspunkt der Idee war, die fehlende Würdigung der Lebensleistungen von Frauen in der Geschichtsschreibung der Stadt aufzuzeigen und dieses Manko in der Zukunft zu beseitigen. In der Geschichte war das Leben der Frauen oft durch Gewalt und Aberkennung der Menschenrechte auf Mitbestimmung und Partizipation gekennzeichnet. Trotz ihrer nachweisbaren gleichen Leistungsfähigkeit, die sich in zahlreichen Phasen der Menschheitsgeschichte, beispielsweise in Kriegsjahren, wenig aber doch belegen lassen, kam es zur männlichen Dominanz in der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Darstellung von Geschichte. Um dem entgegenzuwirken, den Fokus auf die Problemstellung zu lenken, entstanden für diese Ausstellung künstlerische Interventionen. Interventionen, die längst überfällig waren und sind.

Welche Chance hat das Ausstellungsprojekt?
Das Stadtgeschichtliche Museum ist ein Ort, der besser nicht sein kann sich dem Thema zu stellen. Dass es, dank der Offenheit der Museumsleitung, möglich ist in diesen scheinbar unantastbaren Raum der Geschichtswürdigung Leipzigs, den Saal des alten Rathauses einzugreifen, und neben den Leipzigerinnen und Leipzigern, Gäste vs. Tourist*innen vielleicht verstörend damit zu konfrontieren, ist für alle beteiligten Künstlerinnen eine große Chance für einen öffentlichen Diskurs zum Thema.

Was bedeutet es für die GEDOK?
Für die Künstlerinnen und Mitstreiter*innen der GEDOK Mitteldeutschland ist dies eine besondere Möglichkeit, neben der künstlerischen Herausforderung, besonders den inhaltlichen Fokus ihres jahrelangen Engagements für die Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft zu lenken. Diese Verbindung ist einzigartig, denn meist passiert die inhaltliche Arbeit im Hintergrund, in Gremien, Netzwerken, Foren usw. Die Themen unserer jährlichen Projekte und Ausstellungen widmen sich natürlich auch diesen Themen. Doch in diesem Fall ist die künstlerische Intervention am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, kurz vor der geplanten Modernisierung des Museums, uns damit hoffentlich ein Impuls für die weitere Überarbeitung der musealen Geschichtsaufarbeitung.

Was erhoffen Sie sich von der Ausstellung?
Sabine Weingarten schrieb über die Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst – wie in diesem Projekt zwischen Historiker*innen und Künstlerinnen – im Spiegel (18/97): »Die Neudefinition von Kunst als einer quasi-wissenschaftlichen Recherche, die sich in »kunstfremde« Felder wie Politik, Wirtschaft, Ökologie oder Geschichte – hineinwagt – eine Kunst, die auf die Konfrontation mit den Zusammenhängen abzielt, innerhalb derer sie entsteht.« Es genügt nicht die Mankos aufzuzeigen, es wird tatsächlich auf eine Aufgabe hinauslaufen, die Grundlagenforschung betreibt, die Künstler*innen und Wissenschaftler*innen in ihrer Arbeit autark angehen und zugleich gemeinsam lösen können.

... und natürlich ist die Ausstellung noch eine wunderbare Würdigung der GEDOK Mitteldeutschland e.V. , welche seit 90 Jahren in Leipzig wirkt.