Vom „Bapeln“ und „Klabastern“

Die Leipziger Mundart nach Dr. Karl Albrecht

Wussten Sie schon, dass „Die Leipziger Mundart […] streng genommen nur in einem sehr kleinen Gebiete [herrscht?] Es ist die Stadt Leipzig und deren Umgegend“ (S.XIV). Diese Information findet sich in der Einleitung zu einem ganz besonderen Werk: Leipziger Mundart – Grammatik und Wörterbuch der Leipziger Volkssprache. Der Titel des 1881 erschienenen Buches mag zunächst etwas an ein Schulbuch erinnern – gemeinsam mit der Tatsache, dass der Autor Realoberschullehrer zu Leipzig war, lässt dies auf eine eher trockene Lektüre schließen. Ein genauer Blick hinein lohnt sich allerdings, denn speziell für Anhänger des Hochdeutschen, die beim Gedanken an Dialekte eigentlich am liebsten die Flucht ergreifen würden, gibt es in Dr. Karl Albrechts Werk viel zu entdecken. Kapitel zu Lautlehre, Wörterbildung, Wortbiegung und Satzlehre erklären das „viele Sems und Sums“ (also das ausschweifende Erzählen, S. XIII) der Leipziger im Detail – auch wenn schnell deutlich wird, dass Albrecht selbst die Sprecher nicht immer für die Hellsten hält. So hat er „der Beobachtung halber manche Gesellschaft besucht, deren Dunstkreis [er] sonst willig gemieden hätte“, und lässt an seinen „unfreiwilligen Mitarbeitern“ (beides S.XII) in Stadt und Land oft kein gutes Haar.

Leipziger Mundart von Dr. Karl Albrecht

Leipziger Mundart von Dr. Karl Albrecht

Beispiel gefällig? Das findet man etwa beim Blick auf den Paragraphen 150, der sich mit der „Umdeutschung unverstandener Wörter“ befasst. Albrecht stellt hier fest: „Je weniger ein Deutscher mit dem Reichthume seiner Muttersprache vertraut ist, desto mehr liebt er es, mit Fremdwörtern um sich zu werfen; so nicht blos der „gebildete Hausknecht“ […], so auch der Zopfgelehrte“ (S.29). Solch ein Verhalten ist heute ebenfalls keine Seltenheit, Werke mit Namen wie Latein für Angeber sind der Beweis dafür. Und doch besitzen die Leipziger Ende des 19. Jahrhunderts das Talent, Wörter aus Fremdsprachen so stark in ihren Dialekt zu integrieren, das Albrecht von einer „Misshandlung [der] Muttersprache“ redet. Der Sprung von „radikal“ zu „raddenkahl“ mag dabei noch nachvollziehbar sein, „Niggelsgerche“, „Indefidchen“ und „abschkor’t“ (statt „Nikolaikirche“, „Individuum“ und „absurd“) wirken dann aber im Vergleich zur Originalsprache sehr gewagt.

Vokale und besonders Konsonanten deutlich auszusprechen, scheint allgemein in der Leipziger Mundart nicht von oberster Priorität zu sein. Der Beweis dafür findet sich im 170 Seiten langen Wörterbuch. Nicht jedes Wort, das im Hochdeutschen mit „k“ beginnt, ist bei Albrecht auch unter diesem Buchstaben zu finden – zu oft wird es im Anlaut zum „g“, wie im vermeintlichen Zungenbrecher „Gleine Ginder gennen geine Girschgerne gnacken“ (S.13). Albrecht hat eventuelle Verwirrungen dialektfremder Leser jedoch schon vorausgesehen: So wird man beim Abschnitt zu „K“ darauf hingewiesen, dass das gesuchte Wort auch bei „G“ oder „C“ zu finden sein könnte, beim „T“ steht „s. auch D.“ und Experten wissen: Statt den Umlauten „Ä“ und „Ö“ benutzt der Leipziger gern das simple und geläufigere „E“. Da werden die bekannten „Klöße“ schnell zu „Glesse“ (S.X) – naja, solange es schmeckt, möchte man sich nicht beschweren. Schließlich wurden so stimmungsvolle und mundartliche Worte wie „Heularsch“ (Bezeichnung für ein weinerliches Kind, S.79) schon von Goethe genutzt und sind somit von besonderer kultureller Bedeutung.

Eintrag zum Begriff "Arsch"

Eintrag zum Begriff „Arsch“

Albrecht betont in Paragraph 242 zudem: „Der Ungebildete […] sagt gern Alles doppelt“ (S.67). Allein um sich dieser Eigenart der Leipziger anzupassen, muss hier natürlich erwähnt werden, dass ein einfacher Blogeintrag der Vielfalt der Leipziger Mundart „niemals nischt“ genüge tun könnte. Sollten Sie also Lust bekommen haben, sich dem Leipziger Wörterbuch etwas genauer zu widmen, warten im Haus Böttchergäßchen drei Exemplare auf Ihre neugierigen Augen. Von Dienstag bis Donnerstag, 14 bis 18 Uhr, können Sie dem Titel entsprechend in die Bibliothek „klabastern“ (eilen) und mit Leiter Marko Kuhn über die amüsanten Beispiele von Dr. Karl Albrecht „bapeln“ (reden). Und das Beste: Es kostet Sie keinen „Fenk“!

Lektüre des Wörterbuchs in der Bibliothek des Stadtgeschichtlichen Museums

Lektüre des Wörterbuchs in der Bibliothek des Stadtgeschichtlichen Museums

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*