Platz? Da! Die Neuverortung des Turnfestgeländes von 1863

Es war der 26. April 2018, ein normaler Inventur-Arbeitstag, wie immer donnerstags im Stadtgeschichtlichen Museum. Der Sammlungsbereich Karten und Pläne wurde überprüft. Stück um Stück kontrollierten die Museumsmitarbeiter sorgfältig die Vollständigkeit und den Zustand der Objekte. Dies bedeutet nicht nur Zählen und Abarbeiten, viele Objekte werden bei dieser Gelegenheit auch noch einmal genauer betrachtet und bewertet.

An diesem Tag geriet u.a. auch T-B Süd 78 in unsere Hände. Unter dieser Inventarnummer verbirgt sich eine gedruckte Zeichnung zur geplanten Bebauung des Leipziger Südens, datiert auf die späten 1860er Jahre. Bereits der erste prüfende Blick auf das Objekt ergab, dass sich ein genaueres Hinsehen lohnt. Etwa im Zentrum der Darstellung zeigt sich ein rechteckiges Areal, bezeichnet mit „ehemaliger Turnfestplatz“. Dieser Bereich weist auf wesentliche Teile des Festplatzes vom dritten Allgemeinen Deutschen Turnfest, das Anfang August 1863 in Leipzig stattfand, hin. Im Prinzip nichts Neues für uns, die Festplatzlage wurde in den zeitgenössischen Quellen stets als südlich von Leipzig, an der Connewitzer Chaussee (ab 1876 Kochstraße) in Richtung des Dorfes Connewitz angegeben. Zahlreiche Berichte und Abbildungen lieferten Angaben zur Größe, zum Bau, zur Ausstattung und Nutzung sowie Aussehen des Turnfestgeländes. Was bislang fehlte, waren konkrete Hinweise, die eine exakte Lokalisierung dieses Festplatzes im heutigen Stadtraum ermöglichten. Das Festplatzgelände wurde damals inmitten einer von Wiesen und Feldern geprägten Umgebung direkt an der sich langstreckenden Connewitzer Chaussee angelegt –  eine konkrete Verortung machte diese ländliche und eher abseitige Lage zwischen der Stadtgrenze und Connewitz unmöglich. Lediglich eine Grafik aus dem Jahr 1863, die den gesamten Platz in Vogelschaumanier aus südlicher Richtung mit Blick zur Stadt zeigt, konnte bisher als Quelle zur Ortsbestimmung des Areals herangezogen werden.  Die Lithografie ließ vermuten, dass der Platz etwa im Bereich Kochstraße/Alfred-Kästner-Straße/Karl-Liebknecht-Straße und Kurt-Eisner-Straße angesiedelt war. Bis nun T-B Süd 78 auftauchte – und endlich Klarheit brachte.

Anhand dieses Bebauungsplanes, der ab den 1870er Jahren städtebaulich exakt umgesetzt wurde, war die Lage des alten Turnfestplatzes daher schnell gefunden. Der Hauptzugang befand sich an der heutigen Kochstraße, etwa in Höhe der Hausnummern 48-50, begrenzt wurde der Platz von der heutigen Kurt-Eisner-Straße, Bernhard-Göring-Straße und Steinstraße. Die Entfernungen entlang dieser Straßen stimmen im Wesentlichen mit den Abmaßen des Festplatzes überein. Die Karl-Liebknecht-Straße durchschneidet heute das ehemalige Turnfestgelände. Vieles wurde im Zuge der rasanten Stadterweiterung ab dem Ende des 19. Jahrhunderts überbaut, von den einst dörflichen Strukturen blieb nichts mehr übrig. Doch wer sich heute auf die Rasenfläche des Alexis-Schumann-Platzes oder auf den genüberliegenden Heinrich-Schütz-Platz begibt, steht auf einem Teil des ehemaligen Turnfestgeländes, das hier noch im Stadtbild sichtbar ist.

Warum all diese Nachforschungen? 2017 beschloss der Leipziger Stadtrat, das 2002 vom Sportmuseum entwickelte Konzept einer „Leipziger Sportroute“ umzusetzen. Dafür lobte die Stadt einen Wettbewerb aus, der auf Ideen zur Gestaltung von 22 sporthistorisch bedeutsamen Orten im Stadtgebiet setzte. Diese Orte sind mit Innovationen in Fragen des Sportstättenbaus, der Sportartenentwicklung sowie Institutionen des Sports verbunden. Darüber hinaus bewahren sie die Erinnerung an besondere Ereignisse und an Persönlichkeiten aus mehr als 200 Jahren des organisierten Sports. 2018 sollen die ersten beiden Stationen eingeweiht werden, weitere folgen. 2021 wird Leipzig Gastgeber des 44. Internationalen Deutschen Turnfestes sein, seit 1863 nunmehr zum 13. Mal. Aus diesem Anlass erfolgt die Sportrouten-Markierung des ersten Turnfestplatzes. Dann natürlich am Originalschauplatz, am authentischen Ort, also auf dem Alexis-Schumann-Platz. Dank Inventur. Und dank T-B Süd 78!