Woher kommen unsere Museumsobjekte? – Erwerbungen zur NS-Zeit

Provenienzforschung untersucht Objektgeschichte im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig

Eine längst überfällige Debatte über den Umgang mit Raubkunst und der Herkunft der Kulturgüter in Sammlungen wurde durch den brisanten Kunstfund Gurlitt („Schwabinger Kunstfund“) 2013 entfacht. Infolge der Sammlungsbeschlagnahmung von Cornelius Gurlitt und der medialen Aufregung wurde das Aufgabenfeld der Provenienzforschung durch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters finanziell gestärkt und zu einem ihrer zentralen kulturpolitischen Anliegen erhoben.

Der Umgang mit den Museumssammlungen erfährt dadurch eine ganz neue Betrachtungs- und Herangehensweise. Hierbei steht nicht nur das Objekt im Vordergrund, sondern auch die Frage nach der Herkunft und die damit verbundene Frage nach der Art des Erwerbs. Die gesellschaftlichen und kulturpolitischen Debatten sowie das zunehmende Interesse in der Öffentlichkeit an der Herkunftsfrage von Kulturgütern in den Museen – insbesondere an dem NS-verfolgungsbedingten Kulturgutentzug, dem Entzug in der SBZ und der DDR oder an Sammlungsgut aus kolonialem Kontext – veranlassten das Team des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig 2018 dazu, sich erneut Gedanken zu diesem Thema zu machen.

Bereits 2000/2001 hatte die Stadt Leipzig sich anlässlich der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 (rechtlich nichtbindende Vereinbarung, die Erforschung und Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern zu gewährleisten, die Eigentümer ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden) und der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ verpflichtet, die unterschiedlichen Museumssammlungen und Bibliotheken nach ebenjenem Sammlungsgut zu untersuchen. Dies war für das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig eine Initialzündung, sich einmal intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen und der (Selbst-)Verpflichtung zur Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts gerecht zu werden.

Im Zuge des einjährigen Projekts wurden zunächst die „verdächtigen“ Provenienzen zusammengetragen, doch weiterführende Recherchen blieben vorerst aus. In der Zwischenzeit konnten schon gelegentlich verschiedene Kulturgüter auf Antrag an die ursprünglichen Eigentümer restituiert werden.

Einige der zu untersuchenden Provenienzen im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig

Die proaktive und systematische Provenienzforschung sollte nun nach dem 20-jährigen Bestehen der Washingtoner Erklärung durch den Projektantrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste wieder mehr in den Fokus gerückt werden. Im April 2019 konnten wir uns schließlich über eine positive Nachricht und Projektbewilligung freuen.
Seit Juni 2019 setzt sich nun die Forschung für zwei Jahre mit den Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 im Sammlungsbereich „Kunst und Kunsthandwerk“ auseinander. Jedoch können nicht alle Erwerbungen einbezogen werden, da in diesem Zeitraum über 3.160 Objekte in den benannten Sammlungsbereich des Stadtgeschichtlichen Museums kamen. Es werden daher zunächst 39 Gemälde, 20 Plastiken, 44 Aquarelle und 222 Zeichnungen im Rahmen der Provenienzforschung näher untersucht.

Ergebnisse künftig in der Sammlungsdatenbank zu finden

Durch Schenkungen, Ankäufe im Rahmen von Auktionen, Überweisungen oder Tauschgeschäfte gelangten Kunstwerke in unser Museum. Dies verspricht spannende Biografien der Artefakte. Um diese auch sinnvoll zu dokumentieren, wurde im ersten Halbjahr des Projekts in Zusammenarbeit mit der Abteilung „Dokumentation“ die Museumsdatenbank um ein neues Provenienz-Modul erweitert. Dieses beinhaltet die Möglichkeit, die Provenienzangaben mit Quellen sowie die Provenienzmerkmale und Autopsien ausführlich zu dokumentieren. Zu guter Letzt kann dann der Provenienzstatus des jeweiligen Objekts nach dem klassischen Ampelprinzip (rot = sehr bedenklich, orange = bedenklich, gelb = offen und grün = unbedenklich) eingestuft werden.

In unserer Online-Datenbank möchten wir das Forschungsprojekt auch durch die Veröffentlichung der Felder Provenienzangabe, Provenienzstatus und Lost Art-ID (Meldung in der Lost Art-Datenbank) sichtbar machen. Wir erhoffen uns dadurch, für weitere Forschungen die nötigen Hinweise geben zu können und selbstverständlich ebenso für die Thematik zu sensibilisieren. Durch die systematische Vorgehensweise werden sich die Datensätze nun sukzessive mit den relevanten Angaben füllen. Die ersten Ergebnisse werden bald unter dem Stichwort „Provenienzforschung LA04-I2019“ in unserer Sammlungsdatenbank zu finden sein.

Provenienzforscherin Lina Frubrich arbeitet die Aquarelle auf

Während der Einrichtung des Provenienzmoduls wurden zunächst die Aquarelle umfänglich aufgearbeitet. Derzeit werden die Gemälde gemeinsam mit der Leipziger Restauratorin Franziska Lipp einer ausführlichen Autopsie unterzogen. Ganz ähnlich wie in der Gerichtsmedizin geht es dabei um die Prüfung und Bestandsaufnahme der unterschiedlichsten Merkmale und Hinweise, die sich an einem Gemälde befinden und Aufschluss über den Besitzerwechsel des Gemäldes geben können. Diese werden in unserer Datenbank vermerkt und fotografiert. Zusätzlich werden die Maße, Technik, Materialien, Urheber, Herstellungsort, Titel und Datierung/Erscheinungsjahr geprüft und um das Datum des Erwerbs, Art des Erwerbs, Preis, Vorbesitzer und Einlieferer ergänzt. Unter Zuhilfenahme der Eingangsbücher, der soweit vorhandenen Karteikarten und Rechnungen der jeweiligen Ankäufe, können die ersten Angaben vervollständigt werden. Daran anschließend werden dann die externen Quellen (z. B. in Archiven, Nachlässen) konsultiert. Je nach Lage und Zurverfügungstellung der Archivalien können erste Aussagen über den Provenienzstatus gemacht werden. Falls sich die Quellenlage nicht als ergiebig erweist, müssen weitere Recherchen angeschlossen werden. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass die Objekte sogenannte Provenienzlücken aufweisen. Hier gilt es dann, diese ausführlich zu dokumentieren und in unserem Falle auf einen möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzug zu bewerten, um die Kategorisierung „bedenklich“ oder „unbedenklich“ vorzunehmen. Alle Recherchen werden abschließend ausführlich dokumentiert, um diese für weitere Forschungen nutzbar zu gestalten.

Prüfung und Bestandsaufnahme eines Gemäldes

Ziele und Ausblicke

Von der Überprüfung der Provenienzen erhoffen wir uns den positiven Nebeneffekt, mehr über unsere eigene Museumssammlung und -geschichte zu erfahren. Insbesondere die Beziehungen zu lokalen Kunsthändlern und städtischen Ämtern sollen herausgearbeitet werden, um einen besseren Überblick über die Strukturen zu erhalten. Es besteht Handlungsbedarf, sich u.a. mit den Erwerbungen und Schenkungen aus der Leipziger Kunsthandlung von Curt Naubert, C. G. Boerner oder dem Versteigerungshaus Hans Klemm umfassend zu beschäftigen, da es sich hierbei um Unternehmen handelt, die am NS-Kulturgutraub beteiligt waren und sich somit begründete Verdachtsmomente hinsichtlich eines NS-verfolgungsbedingten Entziehungshintergrundes ergeben.

Restauratorin Franziska Lipp nimmt ein Kunstwerk von Daniel Caffé genauer unter die Lupe

Die Provenienzforschung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig kann auch in Zukunft noch weitere Aufgabenfelder beschreiten, wie die Erforschung der Auslagerungsorte und Rücktransporte der Kulturgüter während des Zweiten Weltkrieges und die damit verbundenen Kriegsverluste („Beutekunst“) oder die arisierten Kunsthandlungen und Antiquariate in Leipzig.
Zum Abschluss des Forschungsprojekts wird eine Publikation mit den relevanten Forschungsergebnissen veröffentlicht.

Das Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert.

Hier ist der kürzlich erschienene Leitfaden Provenienzforschung zu finden.