Auf virtuellem Dienstgang mit Johann Sebastian Bach

Über das Kooperationsprojekt zur Digitalisierung des historischen Leipziger Stadtmodells | Von Markus Zepf, Bach-Archiv Leipzig

Als Bach-Forscher wird man nicht nur mit musikalischen Fragen zu Johann Sebastian Bachs vielseitigem Werk konfrontiert. Viele Besucher des Bach-Museums interessieren sich für die alltäglichen Dinge, möchten wissen, wie und wo die Familie Bach lebte.
Da nur wenige schriftliche Zeugnisse mit persönlichem Inhalt zu uns gekommen sind, erscheinen uns Johann Sebastian Bach und seine zweite Ehefrau Anna Magdalena in ihrem Alltag kaum fassbar. Um Bach-Freunden dennoch eine zuverlässige Anlaufstelle für Fragen rund um Leben und Werk des 1750 gestorbenen Leipziger Thomaskantors zu bieten, initiierte Michael Maul, Leiter des Forschungsreferats I im Bach-Archiv, die spendenfinanzierte Webseite www.jsbach.de. Pünktlich zu Johann Sebastian Bachs 332. Geburtstag am 21. März 2017 ging mit einem interaktiven Kalendarium die erste Stufe online.

Drei Jahre später ist als zweite Stufe das „Orte-Modul“ öffentlich zugänglich. Nun kann sich jeder sein eigenes Bild von den Orten machen, an denen Bach einst wohnte. Hier wie im Kalendarium ist die zunehmende Dichte an Informationen bis zu Bachs Leipziger Zeit ab Mai 1723 zugleich ein Spiegel der Überlieferung. Dass die Mehrzahl der Einträge zu Eisenach, Ohrdruf, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar und Köthen mit heutigen Fotografien illustriert ist, hat ebenfalls mit der Überlieferung zu tun, denn nur wenige zeitgenössische Ansichten von Gebäuden sind erhalten.

Anders liegen die Dinge in Leipzig. Hier gibt es zahlreiche Graphiken mit Gebäuden der Bachzeit, und die im Stadtgeschichtlichen Museum bzw. Stadtarchiv verwahrten exzellenten Fotografien von Hermann Walter und seinem Atelier liefern beste Voraussetzungen für eine lebendige Dokumentation des historischen Leipzigs.
Doch das Museum hütet im Alten Rathaus noch weiteren großen Schatz, den wir für jsbach.de nutzen konnten: Das 1822 von dem Leipziger Tapezierer und Möbeltischler Johann Merzdorf vollendete Stadtmodell. Maßstabsgerecht und mit großer Genauigkeit im Detail ist hier das Leipzig an der Wende zum 19. Jahrhundert dargestellt, das sich in den fünf Jahrzehnten seit Bachs Tod nur unwesentlich veränderte.

Dr. Volker Rodekamp, bis zum Eintritt in den Ruhestand Ende März 2019 Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, war schnell von der Idee eines „digitalen Dienstgangs“ von Bachs Wohnung in der 1902 abgebrochenen Thomasschule zur Nikolaikirche überzeugt und gewährte uns weitreichende Unterstützung. Gemeinsam mit Stephan Harmanus von der Berliner Medienagentur KplusH, die jsbach.de seit den ersten Schritten betreut, habe ich im Vorfeld überlegt, wie dem ehrgeizigen Projekt technisch beizukommen ist. Dabei stand uns Michael Stephan von der Zentralen Dokumentation des Museums hilf- und kenntnisreich zur Seite, sodass in der Anwendung die optischen Schwächen des 200 Jahre alten Modells nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Den Fassaden der Papphäuser sieht man ihr Alter an und so galt es schon im Vorfeld günstige Aufnahmepositionen zu finden. Eine nachträgliche Bearbeitung der Fassaden stand nicht zur Disposition, lediglich Hintergrund und Himmel mussten Stephan Harmanus und seine Mitarbeiter digital anpassen.

So konnten wir im Januar und Februar 2019 mithilfe einer Minikamera an einem schwenkbaren Kamerakran zuvor festgelegte Stationen im Modell fotografieren. Aus drei bis vier Aufnahmen pro Standort errechnete eine Software 360°-Aufnahmen, die schließlich zusammengefügt und bildtechnisch optimiert wurden.
Indem der seit April 2019 amtierende Museumsdirektor Dr. Anselm Hartinger die Zusammenarbeit zwischen Stadtgeschichtlichem Museum und Bach-Archiv bei diesem ehrgeizigen Projekt fortsetzte, kann sich seit dem 21. März 2020 jeder selbst ein Bild vom Leipzig der Bachzeit machen.

Auf den Rundgang durch Bachs Leipzig geht es unter https://jsbach.de/leipzig-3d.

Fotos: (c) Bach-Archiv