Verfolgt und ermordet – aber nicht vergessen.

Neues Recherche-Tool zu Leipziger Opfern des Nationalsozialismus im Alten Rathaus und online

Wussten Sie, welche Geschichte das markante Hochhaus mit den Glockenmännern am Augustusplatz hat? Wollen Sie sich über jüdische Traditionen informieren? Suchen Sie nach Angehörigen für Ihre eigene Familiengeschichte, nach einem Lernprojekt oder nach der Vergangenheit Ihres Stadtteils?

Das Recherche-Tool kann im Alten Rathaus im 2.OG genutzt werden

An die Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945 können sich die meisten von uns heute nicht mehr selbst erinnern. Aber sie ist nicht vergangen. Wenn man es weiß, findet man überall Spuren. Auch in der schönen Stadt Leipzig war sie eine Zeit des Schreckens: Tausende Leipzigerinnen und Leipziger, aber auch Häftlinge und Zwangsarbeiter*innen aus allen Ländern Europas wurden hier ermordet: Aus rassischen, politischen, religiösen Gründen oder einfach wegen ihrer Krankheit oder Behinderung. Dutzende Bürger*innen wurden denunziert und überlebten die Haft nicht, nur weil sie ihre Zweifel am Nationalsozialismus oder Krieg ausgesprochen hatten. Weitere Tausende wurden zur Flucht und Emigration gezwungen. Aber alle diese Menschen hatten ein normales, oft glückliches Leben, das mit Leipzig verbunden ist.

Viele Lebensgeschichten von Verfolgten des Nationalsozialismus sind bereits erforscht. Überlebende haben ihre Schicksale erzählt und aufgeschrieben. Die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine und andere Schülerprojekte haben Orte erforscht. Von vielen weiteren Opfern gibt es nur noch wenige Lebensdaten, aber sie sind recherchiert und in Datenbanken zu finden.

Der Zugang zu diesen Angeboten, bisher meist nur Experten bekannt, ist durch das neue Recherche-Tool des Museums nun leichter und zweisprachig in deutsch und englisch verfügbar. Diese Informationen zu einem der schrecklichsten Kapitel der Leipziger Stadtgeschichte können in der Dauerausstellung „Moderne Zeiten“ im Alten Rathaus eingesehen werden. Sie sind aber ebenso im Internet zugänglich, unter www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/ns-opfer/

Das Info-Tool weist mehrere Kategorien zur Recherche auf

Von den Interviews der Shoah Foundation (USA), die auch mit vielen Verfolgten aus Leipzig in den Jahren 2000-2006 geführt wurden, sind beispielhaft Ausschnitte von zehn Videos in der Dauerausstellung einsehbar. Über das Erleben etwa der Pogromnacht am 9. November 1938, den rettenden Kindertransport nach England oder die Deportation mit ihren Eltern berichten etwa Mary Segal oder Paula Balkin. Karl Hauke erlebte die Verfolgung seiner kommunistischen Familie. Wolfgang Schwarze wurde wegen seiner Homosexualität im KZ inhaftiert.

Lebensdaten von bisher fast 10.000 Menschen sind im Gedenk- und Totenbuch der Stadt Leipzig zu finden. Darunter sind allein etwa 1.300 Kinder. Sie mussten als rassisch Verfolgte oder als Kinder von Zwangsarbeiterinnen aus besetzten Ländern sterben oder wegen einer Behinderung. Die Datenbank führt zu mindestens 250 Sinti und Roma aus Leipzig, über 300 Menschen, die aus politischen oder religiösen Gründen ermordet wurden, wegen ihrer Homosexualität oder weil sie nicht Soldaten sein wollten. Zu finden sind bisher etwa 1000 Opfer der „Euthanasie“, ebenso wie Tausende Zwangsarbeiter*innen oder etwa 600 Kriegsgefangene, die den 2. Weltkrieg in Leipzig nicht überlebten.

Die Museumsdatenbank „Leipziger Opfer der Shoah“ ist eine Weiterführung des gleichnamigen Gedenkbuchs von Ellen Bertram. Sie umfasst mehr als 5.500 Menschen jüdischer Herkunft, etwa zu jedem 10. von ihnen konnte inzwischen auch ein Foto gefunden werden. Unterstützung hatte das Projekt vor allem vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, aber auch Nachkommen, andere Eigentümer*innen, Forscherinnen wie Ellen Bertram oder Andrea Lorz halfen mit. Die Abteilung Dokumentation des Museums hat dafür in diesem Jahr Hunderte Datensätze aktualisiert.

Das Online-Tool ist auch mobil auf dem Tablet oder Smartphone nutzbar

Über das Menü gelangt man außerdem zu einem Hör-Rundgang durch die Innenstadt, interaktive Karten zu Lebensorten und Stolpersteinen oder Vermittlungsangeboten für Schulen und Ausstellungen. Sie sind etwa über die Ephraim-Carlebach-Stiftung oder das Schulmuseum Leipzig oder die Gedenkstätte für Zwangsarbeit nutzbar.

Das Recherche-Tool zeigt den Weg zum Gedenken an viele Menschen, die nur sterben mussten, weil sie nicht in die Ideologie der Nationalsozialisten passten. Es zeigt damit die Dimension dieser Verbrechen allein für eine Stadt wie Leipzig. Zu finden sind aber auch Lebensgeschichten in härtesten Zeiten und der Überlebenswille dieser Menschen. Nicht zuletzt vormals normale, glückliche Leben und Lebensleistungen. Alle diese Facetten sind Teil der Stadtgeschichte.


Für die Unterstützung bedanken wir uns bei den folgenden Kooperationspartnern:

Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. mit dem Projekt Stolpersteine Leipzig

Ariowitsch-Haus e.V.

Bruchstücke 1938

Enter History

Ephraim Carlebach Stiftung e. V.

Erich Zeigner Haus e.V.

Gedenkplätze.info

Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

HATiKVA e.V.

Henriette-Goldschmidt-Schule

Leipziger Geschichtsverein

Lindenauer Stadtteilverein

sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG)

Versteckte Geschichte Markkleeberg