Die Erwerbungsgeschichte eines Gemäldes aus der Kunsthandlung Curt Naubert
Am 13. April 2022 findet zum vierten Mal der Tag der Provenienzforschung statt. Dieser Tag wurde vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. ins Leben gerufen, um der Öffentlichkeit Einblicke in Fragestellungen und Methoden der Provenienzforschung zu geben. Darum möchten wir dies zum Anlass nehmen, aus dem derzeit laufenden Provenienzforschungsprojekt eine Erwerbung vorzustellen.
Seit Juni 2019 wird im Sammlungsbereich „Kunst und Kunsthandwerk“ nach Kunstwerken gesucht, die ggf. unrechtmäßig ins Museum gelangten. Das Projekt umfasst alle Gemälde, Plastiken, Aquarelle und Zeichnungen, die in dem Zeitraum zwischen 1933 und 1945 vom Museum erworben wurden. So wurde auch eine Erwerbung von 1937 aus der Kunsthandlung Curt Naubert untersucht.
Im Folgenden werden die Rechercheschritte dargelegt, die zur Klärung der Provenienz und einer Einstufung in der Provenienzampel führten.
Zunächst ist ein Blick in unser Eingangsbuch notwendig. Dieses verzeichnet alle Erwerbungen, die das Museum tätigte und ist somit eine wichtige Quelle für den Beginn einer Provenienzklärung. Unter dem Aspekt, welche Angaben zu dem Ankauf gemacht wurden und inwiefern diese für weitere Untersuchungen relevant sind, wird das Buch befragt. Gibt es Anhaltspunkte, um die Recherchen fortzusetzen oder daran anzuknüpfen?
Hier wird schließlich offensichtlich, dass das Museum ein Ölgemälde von dem Künstler F. Tonnellier am 24.11.1937 von der in Leipzig ansässigen Kunsthandlung Curt Naubert für 200 Reichsmark erwarb.
Die Kunsthandlung von Curt Naubert befand sich vom 28.02.1920 bis 1939 an der Briestr. 20. Ab dem 01.03.1939 war sie dann am Roßplatz 8, Leipzig C1 anzutreffen. Nach der Ausbombung seines Geschäfts am 04.12.1943 war er ab dem 11.01.1944 in der Zeppelinstr. 21, Schkeuditz gemeldet.
Danach lebte Naubert ab dem 24.04.1944 in der Hohe Str. 17, Langensalza. Schließlich ließ er sich ab dem 20.10.1949 Am Goldgraben 17 in Göttingen nieder. Sein Schwerpunkt lag auf Gemälden älterer und neuerer Meister, Handzeichnungen, Aquarellen und Druckgraphiken von der Gegenwart bis zurück zum 15. Jahrhundert. Gleichsam waren auch gotische und barocke Holzplastiken, gelegentlich auch Asiatika vertreten.
Zugleich wird im Eingangsbuch angegeben, dass sich das Gemälde in einem Goldrahmen befand. Ein weiterer Vermerk deutet darauf hin, dass dieses Gemälde als Grundlage für den bekannten Stich von F. Randel diente. Mit diesen ersten Informationen ist es jedoch schwer erste Schlüsse zu ziehen, sodass im nächsten Schritt die sogenannte „Autopsie“ des Originals, in diesem Falle eines Gemäldes, erfolgte. Hierbei wurde sich das Gemälde, dass sich derzeit in der Ausstellung im FORUM 1813 am Völkerschlachtdenkmal befindet, gemeinsam mit einer Restauratorin angesehen.
Bei der Abnahme des Werkes fielen schon erste Kennzeichnungen auf der Rückseite der Leinwand und dem Keilrahmen auf. Mit schwarzer Tusche ist unten mittig die Aufschrift „Vorlage zu F. Randel’s Stahlstich ‚Der Sieg bei Leipzig‘ “ direkt in ins Auge gefallen. Weitere Ziffern oder Aufkleberreste deuten auf Stationen hin, die das Kunstwerk nahm, bevor es in die Ausstellung kam. So befindet sich auf dem Zierrahmen rechts oben eine Bleistiftnotiz mit mehreren Ziffern und Zeichen, die auf eine Art Rechnung hindeutet. Jedoch kann eine Vielzahl von Ziffern nicht eindeutig zugeordnet werden, sodass keine weiteren Anhaltspunkte über die Herkunft gegeben sind bzw. unklar bleiben.
Eine Beschriftung mit einem blauen Wachsstift (V/53) lässt jedoch darauf schließen, dass sich das Gemälde einmal im Alten Rathaus befunden hat. Diese Kombination einer römischen Ziffer und einer arabischen Ziffer deutet auf ein altes Raumverzeichnis vom Alten Rathaus hin. Die erste Zahl gibt die Raumnummer an, die zweite ist eine fortlaufende Nummer, die in dem Verzeichnis vergeben wurde. So ließ sich hier zumindest klären, dass diese Beschriftung seitens des Museums erfolgt ist.
Diese Beschriftungen und Aufklebereste etc. werden als sogenannte Provenienzmerkmale bezeichnet, da sie einen möglichen Besitzerwechsel oder Standorte darstellen, die das Kunstwerk erlebt hat.
Die Frage, ob dieses Gemälde eventuell aus einem NS-verfolgungsbedingten Entzug stammt, kann anhand dieser Erkenntnisse weiterhin nicht geklärt werden.
Anschließend ist die Recherche zu dem Künstler von Interesse. Wer war der Künstler? Und gibt es eventuell Vergleichswerke? Bei der Betrachtung der Schauseite fällt unten rechts die Künstlersignatur „F. Tonnellier 1819“ ins Auge. Das Gemälde zeigt eine Szene mit dem Fürsten Schwarzenberg, der seinen verbündeten Monarchen Alexander I. von Russland, Franz I. von Österreich und Friedrich Wilhelm III. von Preußen die Siegesnachricht in der Völkerschlacht bei Leipzig überbringt.
Dieses Gemälde ist als Kopie eines Gemäldes von 1817 von Johann Peter Krafft zu verstehen, welches sich im Heeresgeschichtlichen Museum Wien befindet. 1814 hatte der Künstler den Auftrag erhalten, zwei Schlachtendarstellungen für den Ehrensaal des Wiener Invalidenhauses zu malen: „Erzherzog Karl mit seinem Gefolge in der Schlacht bei Aspern, 1809“ und „Siegesmeldung des Fürsten Schwarzenberg nach der Schlacht bei Leipzig, 1813“. Zum Jahrestag der Schlacht, dem 18. Oktober 1817, wurde das letztgenannte Werk feierlich enthüllt. Im Deutschen Historischen Museum befindet sich auch eine ähnliche Fassung. Diese wurde 20 Jahre später von der Fürstin Kinsky bei Krafft in Auftrag gegeben. Inwiefern nun Tonnellier das Gemälde in Wien bekannt war und als Vorlage diente, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
Für die weitere Recherche zu dem Künstler F. Tonnellier war ein Blick in das Allgemeine Künstlerlexikon notwendig. Es schien ein Eintrag zu Francois Tonnellier (* 1826/27) vielversprechend, doch die Entstehung des Gemäldes ist auf einen Zeitpunkt vor dessen Geburt datiert, sodass er nicht als Hersteller relevant scheint. Zudem gab es auch einen Künstler namens Franz Tonnelier (* Rotenburg an der Fulda, 12.11.1813 – 03.11.1881, Geseke), dieser kam jedoch aufgrund seines Geburtsdatums ebenfalls nicht infrage, da anzunehmen ist, dass er mit sechs Jahren ein solches Werk nicht anfertigte. So bleiben nähere Informationen zu dem Künstler dieses Werkes ungeklärt.
Nachdem die Recherchen zu dem Werk abgeschlossen waren, galt es, sich den Einlieferer genauer anzuschauen. Die Nachforschungen in Archiven zur benannten Kunsthandlung Curt Naubert haben gezeigt, dass er in der sogenannten red flag name-Liste verzeichnet war. Diese Liste, geführt von einer US-Spezialeinheit, die 1945/46 Berichte über den NS-Raubgut erstellt hat, gilt bis heute als Grundlage für erste Verdachtsmomente innerhalb der Provenienzforschung. Sie zeigt, dass Curt Naubert (* Dresden, 07.04.1884 – 03.08.1960, Göttingen), aufgrund seiner Verkäufe von Kunstwerken ab 1940 für das geplante Führermuseum in Linz („Sonderauftrag Linz“) als Kunsthändler in den Handel mit NS-Raubgut verwickelt war. Hierbei bleibt jedoch unklar, inwiefern er aus ehemaligem jüdischem Eigentum, Vereinsauflösungen o.ä. Dinge erwarb und diese für seinen Verkauf bezog. Ebenso gaben die bekannten und uns heute noch zur Verfügung stehenden Verkaufskataloge von der Kunsthandlung keine Auskünfte über das Gemälde.
Anhand der uns bekannten Informationen lassen sich auch keine weiteren Vorbesitzer feststellen.
Deshalb ließ sich dieses Gemälde mit einer „offenen“ bis hin zu einer „bedenklichen“ Provenienz einstufen, da keine eindeutige Klärung möglich ist. Diese Kategorisierung wird anhand der sogenannten Provenienzampel (grün = unbedenklich, gesichertes Wissen über die Herkunft zwischen 1933-1945, NS-verfolgungsbedingter Hintergrund kann ausgeschlossen werden; gelb = offen/bedenklich, nicht eindeutig zu klären, es bestehen Provenienzlücken, ist nicht zweifelsfrei unbedenklich; rot = sehr bedenklich, die Provenienz ist eindeutig belastet, ein NS-verfolgungsbedingter Kulturgutentzug liegt vor) vorgenommen.
Anhand dieses Beispiels kann aufgezeigt werden, auf welche Problematiken und Unklarheiten man während der Klärung einer Provenienz stößt, die sich 85 Jahre nach der Erwerbung trotz Untersuchungen in den unterschiedlichsten Bereichen nicht einwandfrei belegen lässt. Meist entstehen sogar mehr Fragen als Antworten.
Mehr zum Programm am Tag der Provenienzforschung erfahren Sie auf unserer Website.