Auf den Spuren von NS-Raubgut: Mein Praktikum in der Provenienzforschung

Beitrag von Anna Hunger, ehemalige Praktikantin in der Provenienzforschung

Im Rahmen meines Masterstudiums konnte ich im Frühjahr 2023 ein sechswöchiges Praktikum im Bereich NS-Raubgut und Provenienzforschung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig absolvieren. Ich hatte die Möglichkeit, an einem vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste geförderten Projekt mitzuarbeiten und Einblicke in die Arbeit des Museums zu gewinnen. Ziel von Provenienzforschungsprojekten ist es, Objekte zu untersuchen, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug vermutet wird, um sie anschließend dem »Provenienz-Ampelsystem« zuzuordnen:

Im aktuellen Provenienzforschungsprojekt soll diese Einordnung für zahlreiche Objekte aus den Sammlungsbereichen Kunst/Kunsthandwerk, Alltagskultur/Volkskunde, Fotothek und Bibliothek geschehen. Neben Einlieferungen des Versteigerungshauses Klemm und dessen Nachfolgeeinrichtung, dem VEB Versteigerungs- und Gebrauchtwarenhaus, werden im Projekt auch Einlieferungen von nachweislichen Einkäufern im Versteigerungshaus Klemm untersucht. Hinzu kommen Werke von jüdischen Künstlern wie beispielsweise Eduard Einschlag. Von Bedeutung waren in meinem Praktikum die Einlieferungen von Hans Rißmann, welcher in den 1970er und 1980er Jahren verschiedene Kunstwerke, Plastiken, Bücher und Möbelstücke aus dem Nachlass der Familie Wach/Mendelssohn-Bartholdy an das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig verkaufte, sowie die Einlieferung von rund 4 000 Glasnegativplatten aus dem Fotoatelier Walter durch das Fürsorgeamt Leipzig. Außerdem waren Recherchen zum Fotoatelier Mittelmann notwendig.

Da das Projekt noch am Anfang steht, war meine Hauptaufgabe die Recherche zu den Objekten, den ehemaligen Eigentümer und Eigentümerinnen, den Kunstschaffenden und den Einlieferern. Mithilfe von Unterlagen, Literatur und Aktenmaterial aus dem Stadtgeschichtlichen Museum, der Deutschen Nationalbibliothek sowie dem Staats- und Stadtarchiv Leipzig konnte ich beispielsweise Familienstammbäume erstellen, die Restaurierung von einzelnen Objekten nachvollziehen und das Schicksal von ehemaligen Eigentümer und Eigentümerinnen näher beleuchten. Besonders interessant war dabei ein unvollständiger Aufkleber, den wir bei der Sichtung der Objekte auf der Rückseite eines Gemäldes fanden. Mithilfe der erkennbaren Informationen und eines historischen Adressbuchs konnte ich herausfinden, dass es sich wahrscheinlich um einen Aufkleber des Möbeltransports- und Speditionsunternehmens Hermann Reinhardt handelt.

Unvollständiger Aufkleber auf der Rückseite eines Gemäldes aus dem Nachlass Wach/Mendelssohn-Bartholdy, Foto: Lina Frubrich
Eintrag im Leipziger Adreß-Buch, Leipzig 1935, S. 813. © SLUB Dresden, https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/93409/833 [zuletzt abgerufen am 24.03.2023]

Neben der eigentlichen Arbeit konnte ich während meines sechswöchigen Praktikums verschiedene Angebote der Leipziger Museen wahrnehmen. Dazu gehörten neben Führungen durch die aktuellen Sonderausstellungen im Museum der bildenden Künste, im Simon-Dubnow-Institut und im Stadtgeschichtlichen Museum auch ein Besuch des Völkerschlachtdenkmals. Als »Probepublikum« konnte ich am »Revolutionären Stadtrundgang« und dem Vermittlungsangebot »Lieber Anders. Sub- und Jugendkulturen in der DDR« teilnehmen und dadurch auch Einblick in die Vermittlungsarbeit des Museums gewinnen.

Insgesamt konnte ich im Rahmen meines Praktikums im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig umfangreiche Einblicke in die Provenienzforschung und den Umgang mit NS-Raubgut gewinnen. Dabei war es spannend zu sehen, wie das Museum mit diesem schwierigen Thema umgeht und welche Schritte unternommen werden, um belastete Objekte einer gerechten Lösung zuzuführen.


Mehr zur Provenienzforschung an unserem Museum:

INS GESPRÄCH KOMMEN: Anlässlich des Tages der Provenienzforschung wird unsere Provenienzforscherin Lina Frubrich in der Sonderausstellung HAKENKREUZ UND NOTENSCHLÜSSEL. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus exemplarisch anhand von untersuchten Kunstwerken die Herkunftsgeschichten erläutern, die das Museum während der Zeit des Nationalsozialismus erwarb. Sie gibt Einblicke in die Arbeitsweise und das Vorgehen einer Provenienzforscherin. Fragen wie: Was ist Provenienzforschung? Warum wird sie gemacht? Und wieso betrifft es uns heute noch? können gerne im Rahmen des Gesprächs an sie gerichtet werden. Wir freuen uns auf einen anregenden Austausch. Alle Infos zur Veranstaltung gibt es hier.

MEHR LESEN: auf unserer Website, in den Beiträgen »Woher kommen unsere Museumsobjekte« und »Zwei Porträtgemälde von Ludwig Geyer und ihre Provenienz« hier auf unserem Blog und in der Publikation »Vergessene Rück(an)sichten. Provenienzforschung am Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig«, herausgegeben von Lina Frubrich und Dr. Anselm Hartinger:

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