R.I.P. — Die letzte Adresse
Tod und Bestattungskultur in Leipzig
Autor Steffen Poser & Autorin Ulrike Dura
Auch das ist Stadtgeschichte! Vom 20. März bis 1. September 2024 ist im Haus Böttchergäßchen eine ganz besondere Ausstellung zu erleben, zu der ebenso eine Begleitpublikation erscheint. Diesmal geht es nicht um herausragende Leistungen ehemaliger Leipzigerinnen und Leipziger, nicht um prägende historische Ereignisse oder gar die schönen Künste in Pleißathen. Bei »R.I.P. — Die letzte Adresse« steht der Tod in Leipzig im Mittelpunkt.
Tagtäglichen liefern uns Fernsehen und Internet Meldungen über kriegerische Konflikte, Terroranschläge oder dramatische Unglücksfälle frei Haus. Um jeden noch so banalen Auffahrunfall sammelt sich unweigerlich eine Schar Schaulustiger. Wir lieben Fernsehkrimis und Detektivromane, die ohne Mord heute kaum funktionieren. Im eigenen Leben aber blenden wir den Tod aus. Vermutlich war das auch ein Grund für die bisweilen an Hysterie heranreichende Panik als Covid-19 auftauchte. Vollkommen unerwartet und mit großer Wucht sind wir uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusst geworden. Bis ins Mark erschüttert stellten wir fest, auf den Tod sind wir in keiner Weise vorbereitet.
Über Jahrtausende hinweg, galt Sterben als selbstverständlicher Teil des Lebens. Man bereitete sich bewusst darauf vor, umgab es mit eigenen Ritualen, Gerätschaften und Musiken, nahm selbstverständlich Abschied von Sterbenden, begleitete ihr Hinscheiden und hielt auch nach ihrem Ableben ein unsichtbares Band der Zusammengehörigkeit aufrecht. Vor allem begegnete man dem Tod auf Schritt und Tritt, angefangen von der hohen Säuglingssterblichkeit über eine Vielzahl von Krankheiten, die uns heute nur noch dem Namen nach bekannt sind, bis zu Gefahren, die im Trinkwasser lauerten, in der Farbe unserer Zimmerwände oder gar dem Heilmittel aus der Apotheke. Die Lebenserwartung lag um Jahrzehnte unter der unseren. Von der immer wiederkehrenden Katastrophe kriegerischer Auseinandersetzungen, vom Wagnis, per Schiff ein Meer zu durchqueren oder nur im Theater den Falschen anzurempeln, um ihm anderentags mit einer Pistole in der Hand auf der Wiese hinter der Kirche gegenüberzustehen — Tod überall.
Lassen Sie uns miteinander über den Tod in Leipzig reden und wie man mit diesem Teil des Lebens über Jahrhunderte hinweg umgegangen ist. Wo sind sie geblieben, die Leipzigerinnen und Leipziger vor uns und wie sind sie dieser Unausweichlichkeit am Lebensende begegnet? Wäre gar von ihnen zu lernen, von Neuem zu erfahren, wie hilf- und trostreich Rituale sein können? Sind wir nicht stolz auf unser Recht zur Selbstbestimmung? Warum erübrigen wir dann nicht wenigstens eine Stunde am Wochenende und überlegen, was im Falle eines Falles passieren soll und fordern so auch für die finale Station des Lebens ein Mitspracherecht ein? Lernen wir doch Haltungen und Handlungen aus anderen Zeiten und Perspektiven kennen. Angst wächst besonders fruchtbar mit dem Unbekannten.
Die Ausstellung wendet sich etlichen Aspekten rund um das heikle Thema zu. Es gibt Söhne und Töchter Leipzigs, die in den zurückliegenden Jahrhunderten an der Pleiße zur letzten Ruhe gebettet wurden. Wir stellen ebenso Vereine und Institutionen vor, die sich in Vergangenheit und Gegenwart der rechten Art, den letzten Gang anzutreten, verschrieben haben. Lernen Sie diese kennen und erfahren, wo und wie die uns vorangegangenen Generationen die letzte Ruhe fanden. Lassen Sie sich mit uns ein auf ein Stück Leipziger Stadtgeschichte, das ebenso zu unserer Identität dazugehört, wie Kunstsinnige, Helden, Visionäre und Phantasten, wie Weltreisende und Schreibstubengelehrte. Vor allem widmet sich das Thema einem Teil unseres Lebens, das uns, ob wir wollen oder nicht, alle etwas angeht. Früher oder später.
Exkurs:
Neu befragt – Marmorrelief vom Johannesfriedhof
Die Vorbereitung kulturhistorischer Ausstellungen mit wechselnden Schwerpunkten bietet auch Gelegenheit, altbekannte Stücke der Museumssammlung neu zu befragen, nicht selten mit spannenden Ergebnissen.
So ergab die Beschäftigung mit der Geschichte des Johannisfriedhofs, dass ein eindrucksvolles, wenn auch leider beschädigtes Marmorrelief mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts ursprünglich von einem Portal des Friedhofs stammt. Das Portal wurde 1586 von Ratsmaurermeister Gregor Richter und dem Bildhauer Valentin Silbermann errichtet und bildete den Hauptzugang zu Kirche und Friedhof von der Stadtseite aus. Es wurde 1822 abgerissen, die Einzelteile galten als verloren.
Die Darstellung des Jüngsten Gerichts war seit dem Mittelalter sehr geläufig und zeugt von der Auseinandersetzung der Menschen mit dem eigenen Tod und der Angst um das Seelenheil. Sie zeigt, wie die Toten aus ihren Gräbern auferstehen und von Christus gerichtet werden. Die Erlösten ziehen links (von Christus aus rechts gesehen) durch das Himmelstor, die Verdammten rechts in den Rachen des Teufels.
Die Ausstellung »R.I.P. — Die letzte Adresse« ist noch bis zum 1. September 2024 im Haus Böttchergässchen zu sehen.
Service
Tel +49(0) 341.9651340
Öffnungszeiten
Dienstag–Sonntag, Feiertage 10–18 Uhr
Eintritt
Erwachsene 6 €, ermäßigt 3 €
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei
Zudem ist folgendes Begleitbuch erhältlich:
R.I.P. Die letzte Adresse
Tod und Bestattungskultur in Leipzig
Herausgegeben von Ulrike Dura, Anselm Hartinger, Steffen Poser im Auftrag der Stadt Leipzig
© 2024 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Preis: 10,50 Euro
ISBN 978-3-910034-90-7
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