R.I.P. — Die letzte Adresse

Tod und Bestattungskultur in Leipzig

Autor Steffen Poser & Autorin Ulrike Dura

Auch das ist Stadtgeschichte! Vom 20. März bis 1. September 2024 ist im Haus Böttchergäßchen eine ganz besondere Ausstellung zu erleben, zu der ebenso eine Begleitpublikation erscheint. Diesmal geht es nicht um herausragende Leis­tungen ehemaliger Leipzigerinnen und Leipziger, nicht um prägende historische Ereignisse oder gar die schönen Künste in Pleißathen. Bei »R.I.P. — Die letzte Adresse« steht der Tod in Leipzig im Mittelpunkt.

Engel vom Westgiebel der Leipziger Peterskirche, Gipsabguss, Original: 1885. Der originale Engel aus rheinischem Tuff drohte wegen starker Verwitterung abzustürzen und wurde 1994 als Steinguss rekonstruiert. Foto: Markus Scholz

Tagtäglichen liefern uns Fernsehen und Internet Meldungen über kriege­rische Konflikte, Terroranschläge oder dramatische Unglücksfälle frei Haus. Um jeden noch so banalen Auffahrunfall sammelt sich unwei­gerlich eine Schar Schaulustiger. Wir lieben Fernsehkrimis und Detek­tivromane, die ohne Mord heute kaum funktionieren. Im eigenen Leben aber blenden wir den Tod aus. Vermutlich war das auch ein Grund für die bisweilen an Hysterie heranreichende Panik als Covid-19 auftauchte. Vollkommen unerwartet und mit großer Wucht sind wir uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusst geworden. Bis ins Mark erschüttert stellten wir fest, auf den Tod sind wir in keiner Weise vorbereitet.

Über Jahrtausende hinweg, galt Sterben als selbstverständlicher Teil des Lebens. Man bereitete sich bewusst darauf vor, umgab es mit eigenen Ritualen, Gerätschaften und Musiken, nahm selbstverständlich Abschied von Sterbenden, begleitete ihr Hinscheiden und hielt auch nach ihrem Ableben ein unsichtbares Band der Zusammengehörigkeit aufrecht. Vor allem begegnete man dem Tod auf Schritt und Tritt, angefangen von der hohen Säuglings­sterblichkeit über eine Vielzahl von Krankheiten, die uns heute nur noch dem Namen nach bekannt sind, bis zu Gefahren, die im Trinkwasser lau­erten, in der Farbe unserer Zimmer­wände oder gar dem Heilmittel aus der Apotheke. Die Lebenserwartung lag um Jahrzehnte unter der unse­ren. Von der immer wiederkehrenden Katastrophe kriegerischer Auseinan­dersetzungen, vom Wagnis, per Schiff ein Meer zu durchqueren oder nur im Theater den Falschen anzurem­peln, um ihm anderentags mit einer Pistole in der Hand auf der Wiese hinter der Kirche gegenüberzuste­hen — Tod überall.

Amor, Tod und Jenseits, Max Klinger, Radierung und Aquatinta, 1879/1881, Inv.-Nr.: K 461/12

Lassen Sie uns miteinander über den Tod in Leipzig reden und wie man mit diesem Teil des Lebens über Jahrhunderte hinweg umge­gangen ist. Wo sind sie geblieben, die Leipzigerinnen und Leipziger vor uns und wie sind sie dieser Unaus­weichlichkeit am Lebensende begeg­net? Wäre gar von ihnen zu lernen, von Neuem zu erfahren, wie hilf- und trostreich Rituale sein können? Sind wir nicht stolz auf unser Recht zur Selbstbestimmung? Warum erübri­gen wir dann nicht wenigstens eine Stunde am Wochenende und überlegen, was im Falle eines Falles pas­sieren soll und fordern so auch für die finale Station des Lebens ein Mit­spracherecht ein? Lernen wir doch Haltungen und Handlungen aus anderen Zeiten und Perspektiven kennen. Angst wächst besonders fruchtbar mit dem Unbekannten.

Die Ausstellung wendet sich etlichen Aspekten rund um das heikle Thema zu. Es gibt Söhne und Töchter Leip­zigs, die in den zurückliegenden Jahrhunderten an der Pleiße zur letzten Ruhe gebettet wurden. Wir stellen ebenso Vereine und Institutionen vor, die sich in Vergan­genheit und Gegenwart der rechten Art, den letzten Gang anzutreten, verschrieben haben. Lernen Sie die­se kennen und erfahren, wo und wie die uns vorangegangenen Genera­tionen die letzte Ruhe fanden. Lassen Sie sich mit uns ein auf ein Stück Leipziger Stadtgeschichte, das ebenso zu unserer Identität da­zugehört, wie Kunstsinnige, Helden, Visionäre und Phantasten, wie Welt­reisende und Schreibstubengelehr­te. Vor allem widmet sich das Thema einem Teil unseres Lebens, das uns, ob wir wollen oder nicht, alle etwas angeht. Früher oder später.


Exkurs:

Neu befragt – Marmorrelief vom Johannesfriedhof

Die Vorbereitung kulturhistori­scher Ausstellungen mit wech­selnden Schwerpunkten bietet auch Gelegenheit, altbekannte Stücke der Museumssammlung neu zu befragen, nicht selten mit spannenden Ergebnissen.

Portal des Alten Johannis­friedhofs, Detail der Entwurfszeichnung von Valentin Silbermann, 1586, Inv.-Nr.: 4371 c
Jüngstes Gericht vom Portal des Alten Johannisfriedhofs, Marmorrelief von Valentin Silbermann, um 1586, Inv.-Nr.: Pl. 76d

So ergab die Beschäftigung mit der Geschichte des Johannisfriedhofs, dass ein eindrucksvolles, wenn auch leider beschädigtes Marmorrelief mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts ursprünglich von einem Portal des Friedhofs stammt. Das Portal wurde 1586 von Ratsmaurer­meister Gregor Richter und dem Bild­hauer Valentin Silbermann errichtet und bildete den Hauptzugang zu Kirche und Friedhof von der Stadtseite aus. Es wurde 1822 abgerissen, die Einzelteile galten als verloren.

Die Darstellung des Jüngsten Gerichts war seit dem Mittelalter sehr geläufig und zeugt von der Auseinandersetzung der Menschen mit dem eigenen Tod und der Angst um das Seelenheil. Sie zeigt, wie die Toten aus ihren Gräbern auferste­hen und von Christus gerichtet wer­den. Die Erlösten ziehen links (von Christus aus rechts gesehen) durch das Himmelstor, die Verdammten rechts in den Rachen des Teufels.


Die Ausstellung »R.I.P. — Die letzte Adresse« ist noch bis zum 1. September 2024 im Haus Böttchergässchen zu sehen.

Service
Tel +49(0) 341.9651340

Öffnungszeiten
Dienstag–Sonntag, Feiertage 10–18 Uhr

Eintritt
Erwachsene 6 €, ermäßigt 3 €
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei

Zudem ist folgendes Begleitbuch erhältlich:

R.I.P. Die letzte Adresse
Tod und Bestattungskultur in Leipzig
Herausgegeben von Ulrike Dura, Anselm Hartinger, Steffen Poser im Auftrag der Stadt Leipzig
© 2024 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Preis: 10,50 Euro
ISBN 978-3-910034-90-7

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