Rustikales Fachwerk und zartes Porzellan – ein Arbeitsaufenthalt in Frankreich

Jedes Jahr organisieren das Deutsch-Französische Jugendwerk, das Haus der Geschichte und die Direction générale des patrimoines einen deutsch-französischen Arbeitsaustausch für junge Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter.
Ich hatte das Glück, 2018 als Volontärin aus dem Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit daran teilzunehmen und habe zwei Monate lang in Limoges, im Musée National Adrien Dubouché, einem der beiden großen französischen Museen für Keramik und Porzellan, verbracht.

Handschlag oder Wangenküsschen?

Das Programm begann mit einem sprachlichen und interkulturellen Vorbereitungskurs , der jede Menge Spaß brachte und auch dem Kennenlernen innerhalb der Gruppe diente. Mit dreizehn anderen Teilnehmerinnen aus Deutschland und Frankreich verbrachte ich zwei Wochen in Berlin und Straßburg. Im Tandemprinzip frischten wir im Gespräch mit Muttersprachlerinnen unsere Sprachkenntnisse auf. Nachdem die ersten Blockaden überwunden waren, ging es um den Arbeitsalltag zu Hause und im Gastland: siezen oder duzen, Bluse oder T-Shirt, Handschlag oder Küsschen? Pauschalantworten gab es nicht, aber eine Sache stand fest: die bises, die Wangenküsschen, gehören in Frankreich unumgänglich zu einer höflichen Begrüßung dazu.

Das Land der tausend Kühe

Gar nicht so einfach, nach Limoges zu kommen! In meine Reiseplanung funkte mir die französische Bahn, die drei Monate lang streikte. Ich fuhr zwei Tage später als geplant – im Museum erntete ich Verständnis, schließlich kennen die Franzosen ihre eigene Streikkultur nur allzu gut. Der Regionalzug fuhr gemächlich durch saftige Landschaften, Kühe weit und breit – nicht umsonst heißt der im Limousin gelegene Nationalpark Millevaches, „tausend Kühe“. Es geht in die campagne, auf’s Land, um nicht zu sagen: in die Provinz. Es erwarteten mich neben dem beeindruckenden Bahnhof Limoges-Bénédictins mit gleich vier Turmuhren ruhige Straßen, rustikale Fachwerkhäuschen und schicke Sandsteingebäude. Mein zweiter Tag in Limoges war der erste Mai, auf der Straße demonstrierten Menschen für bessere Arbeitsbedingungen und Maiglöckchen wurden für einen Euro als Glücksbringer auf der Straße verkauft.

Neuland

Im Museum wurde ich mit Wangenküsschen und viel Freundlichkeit begrüßt. Meine Tutorin Anaïs Alchus bestand vor zwei Jahren den concours, den strengen Wettbewerb, der in Frankreich nötig ist, um als conservatrice (Kuratorin) zu arbeiten. Sie stellte mich allen vor und führte mich gemeinsam mit Julia, einer Praktikantin und Museologiestudentin, durch das Museum. Für mich war Porzellan Neuland. Aus dem thematisch breit aufgestellten Stadtgeschichtlichen Museum kommend, hatte ich bisher wenig Gelegenheit, mich mit Handwerkskunst zu beschäftigen. Umso mehr beeindruckten mich die Keramiken aus aller Welt, von der Antike bis zur Gegenwart. Mein Favorit war ein Porzellanbehälter für Pommes Frittes, „um sich den neuen Essgewohnheiten der Bevölkerung – auch in den Luxusrestaurants – anzupassen“.

Vom königlichen Tafelgeschirr zum 3D-Druck

Die ersten Tage habe ich mit meiner Tutorin verbracht und durfte ihr bei der Neugestaltung eines Teils der Dauerausstellung über die Schulter schauen: welche Objekte passen zusammen – lieber die saucière oder die soupière?

Nach einigen Tagen wurde ich einem Projekt zugeteilt, das passender für meinen Aufenthalt nicht hätte sein können: zwei Monate lang sollte ich Fotos und Videos für die neuen Multimediastationen im Technikmezzanin recherchieren, auswählen und sortieren. Die Besucher sollten zukünftig mit I-Pads die einzelnen Schritte der Porzellanproduktion vom 19. bis ins 21. Jahrhundert bildhaft nachvollziehen können. Limoges war seit dem 18. Jahrhundert DIE Porzellanstadt in Frankreich, die auch den königlichen Hof belieferte. Aus den ehemals königlichen Manufakturen kommt noch heute mehr als die Hälfte des französischen Porzellans. Ich sichtete hunderte Fotos, ganz alte schwarz-weiß-Bilder vom Ofenanheizen, von den Arbeiteraufständen in den Porzellanmanufakturen zur Jahrhundertwende, als die Produktion boomte, die Lebendbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter sich jedoch verschlechterten, aber auch von 3-D-Druckern für neuestes Design, das an Luxuswarenhäuser wie Hermès in Paris verkauft wird.

 

La Fabrique

Mein persönliches Highlight des Aufenthalts in Limoges war der Besuch der naheliegenden Porzellanmanufaktur Porcelaines de La Fabrique. Dort fragten wir nach aktuellem Foto- und Videomaterial zur heutigen Produktion. Direktor Daniel Betoule führte meinen Chef Pierre Houdeline, den Projektverantwortlichen, und mich daraufhin ausführlich durch die Fabrik. Sein sehr schnelles und dialektal gefärbtes Französisch forderte meine, wie ich dachte gefestigten, Sprachkenntnisse aufs Äußerste heraus. Er zeigte uns winzige Aschenbecher für unerwartete Gäste am Gartenzaun und schön geschwungene Miso-Suppenlöffel aus feinstem Porzellan. Auch stellte er uns den Angestellten vor: der Émailleur zog mit exakten Gesten große Teller durch eine milchig-weiße Flüssigkeit, danach gab er sie zum zweiten Brand in einen Ofen. Herr Betoule erklärte leidenschaftlich wie robust die Ware sei, nachdem sie mehrfach gebrannt wurde – also doch gar nicht so zerbrechlich, das feine Geschirr. Es wundert also nicht, dass Porzellan heute in der Raumfahrt, der Chirurgie (Prothesen) und der Sanitärtechnik – auch, weil es antibakteriell wirkt – eingesetzt wird.

Für mich folgten nach diesem Ausflug noch mehrere andere interessante Exkursionen: in Fabriken und Archive, aber auch in die Depots weiterer Museen in Limoges. Meine Kolleginnen und Kollegen habe ich nach kurzer Zeit lieb gewonnen, sie haben mich unkompliziert in ihren Arbeitsalltag eingebunden und mir mit reichlich Humor, Espresso und Madeleines den Aufenthalt versüßt. Besonders spannend war auch, dass ich im Musée National Adrien Dubouché, das übrigens nach seinem Gründungsvater und wichtigstem Mäzen, einem Cognachändler und Porzellansammler aus dem 19. Jahrhundert benannt ist, an einigen wichtigen Besprechungen teilnehmen durfte. Auch hatte ich die Gelegenheit, das geniale Grafiker-Duo aus Paris, ter Bekke & Behage, kennen zu lernen. Sie haben mit ihren Buchstaben aus Porzellan dem 2012 neugestalteten Museum gemeinsam mit dem Architekten Boris Podrecca und der Gestalterin Zette Cazalas ein neues Gesicht und der kleinen Provinzstadt Limoges damit durchaus einen auffälligen Hauch von Weltgewandtheit und Modernität verliehen.

Text: Sarah Fritzsche