„Nie bring‘ Dich der Verdienst um das Verdienst“ Die Leipziger Familie Küstner

Als der 20-jährige Johann Philipp Küstner um 1670 aus Dreieichenhain bei Frankfurt am Main nach Leipzig kam, um den Beruf des Kaufmanns zu erlernen, ahnte er nicht, dass seine Nachkommen hier als Kaufleute und Bankiers, Ratsherren und Bürgermeister, kurfürstliche Räte und Professoren, Bauherren und Rittergutsbesitzer, Stifter und Kunstmäzene die Geschicke der Stadt mitbestimmen sollten. Damit sind die Küstners nicht allein in der Leipziger Geschichte, viele andere Familien haben ebensolche Spuren hinterlassen und sind bis heute durch Häuser- und Straßennamen präsent: Apel, Bose, Dufour, Frege, Löhr, Speck von Sternburg – um nur einige zu nennen.

Familie Küstner in der Ausstellung „Nie bring‘ Dich der Verdienst um das Verdienst“

Auch in den Museumssammlungen spiegelt sich die Bedeutung dieser Familien wieder. Porträts, Architekturansichten, Fotos und Dokumente ermöglichen die Rekonstruktion von Lebenswegen, Schauplätzen und Familienbanden. Das Beispiel der Familie Küstner repräsentiert zugleich auch den Wandel des Bürgertums durch mehrere Jahrhunderte deutscher Geschichte. Aufstieg und Blüte, wirtschaftliche Herausforderungen und Auswanderung, erst recht aber die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts brachten immer wieder radikale Veränderungen. Viele dieser alteingesessenen Leipziger pflegen bis heute die Familientraditionen, oft über Kontinente hinweg.

Die Gründerväter

Die Gründung des Bank- und Handelshauses Küstner geht auf Johann Philipp Küstner zurück, geboren 1650 in Dreieichenhain bei Frankfurt a. M. Um 1670 kam er nach Leipzig und stieg in den Tuch- und Wollhandel mit eigener Manufaktur ein. Mit dem Erwerb des Leipziger Bürgerrechts 1680 begann sein Aufstieg in der sozialen Hierarchie der Stadt. Er heiratete 1682 mit Marie Gertraud Friese die Tochter eines eingesessenen Tuchhändlers, nach deren Tod 1699 vermählte er sich mit Anna Theodore Besser. 1707 wurde er Ratsherr, 1725 Ratsbaumeister. Seine Handelstätigkeit weitete er bald auf Geld- und Kreditgeschäfte aus. 1702 hatte er seinen Schwiegersohn Johann Balthasar Faber als Teilhaber in sein Geschäft aufgenommen.

1733 erhielt das Unternehmen familiäre Verstärkung, Johann Philipp Küstners Neffe Johann Heinrich kam aus Frankfurt a.M. als Teilhaber dazu und heiratete Johanna Wilhelmine Faber, die Enkelin seines Onkels Johann Phillip. Ab 1741 übernahm er die alleinige Führung des Unternehmens und erwarb das Eckhaus Markt/Hainstraße (heute Restaurant Weinstock).

Zum Wohl der Familie, zum Wohl der Stadt. Familie Küstner im 18. und 19. Jahrhundert

Die Söhne der Küstners führten entweder die Geschäfte weiter und bauten sie aus oder sie wählten die juristische Laufbahn. Gottfried Wilhelm Küstner zum Beispiel wurde Advokat, später Assessor des Oberhofgerichts und des Schöppenstuhls. Zudem erlangte er wie auch später sein Sohn das Amt des Dekans des Domstifts zu Wurzen, eine begehrte Würde mit hohem Prestige und finanziellen Vorteilen1. Ab 1715 war er Ratsherr, ab 1749 mehrfach Bürgermeister.

Söhne und Töchter der Familie heirateten zumeist in andere Familien der Leipziger Oberschicht ein. Die Familien erwarben weitere Häuser und Rittergüter. Auch die Pflege von Kunst und Musik kam nicht zu kurz, ebenso wenig das gemeinnützige Engagement, z.B. im Waisenhaus St. Georg oder der Vertrauten Gesellschaft. Das Bank- und Handelshaus expandierte weit über Leipzig hinaus. Ferdinand Heinrich Küstner beteiligte sich 1828 am Aufbau einer Paketschifffahrtslinie Hamburg–New York. Geschäftsverbindungen führten auch nach Spanien und Südamerika. Aber es gab auch Rückschläge. 1875 erlebte die Firma unter Wilhelm von Küstner einen Bankrott. 1873 war er vom österreichischen Kaiser in den Adelsstand erhoben worden.

Der Theaterreformer. Karl Theodor von Küstner (1784–1864)

Der jüngere Sohn von Johann Heinrich Küstner studierte zunächst mit Erfolg Jura, wie in der Familie üblich. Seine eigentliche Leidenschaft galt jedoch dem Theater. Er begründete mit der Genehmigung des sächsischen Königs das Stadttheater und leitete es von 1817 bis 1828, zum Teil auf eigene Kosten. Unter seiner Leitung stieg die Leipziger Bühne zu einer der führenden Institutionen in ganz Deutschland auf. In der Regel fanden jährlich 230 Vorstellungen mit rund 44 Premieren statt – sowohl Schauspiele als auch Opern wie Carl Maria von Webers Oberon als deutsche Uraufführung. Zudem gründete Carl Theodor eine Pensionsanstalt, die eine Altersversorgung der Schauspieler sicherstellen sollte.

1830 wurde er Direktor der Hofbühne in Darmstadt, 1833 Intendant des Hoftheaters in München. Aufgrund seiner Verdienste adelte ihn König Ludwig von Bayern. 1842 übernahm er die Generalintendanz der königlichen Schauspiele zu Berlin. Auch hier stieß er wesentliche Reformen an, zum Beispiel die Einführung sogenannter Tantiemen für die Autoren. Er verfasste auch selbst einige Dramen, darunter 1819 Die beiden Jungfrauen von Orléans.

Im Widerstand. Paul Küstner (1896–1945)

Nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg und englischer Kriegsgefangenschaft studierte Paul Küstner Volkswirtschaft in Leipzig. 1936 heiratete er Irmgard Dressler, das Paar hatte drei Kinder. Seit 1922 war Paul Küstner Mitglied der KPD und eng befreundet mit Richard Lehmann.  Über diesen unterhielt er nach 1933 illegale Kontakte zum kommunistischen Widerstand gegen das NS-Regime. Um das Jahr 1935 entstand in Leipzig eine kommunistische Widerstandsgruppe um Rudolf Hardtmann, zu welcher auch Paul Küstner gehörte. Er stellte Kontakt zur Exilleitung der KPD in Prag her und war aktiv in der Roten Hilfe, die Angehörige von politischen Gefangenen unterstützte. Darüber hinaus bestand mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Verbindung zur Schumann-Engert-Kresse-Gruppe in Leipzig und Karl Jungbluth. Paul Küstner war an der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern beteiligt.

Er wurde im Zuge der Aktion Gitter als Reaktion auf das Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli am 5. August 1944 verhaftet. Seinen Namen erfuhr die Gestapo höchstwahrscheinlich bei den gewaltsamen Verhören von Rudolf Hardtmann und Karl Jungbluth. Zu einem Prozess kam es nicht mehr. Eine Woche vor der Befreiung Leipzigs durch die US-Armee wurden Paul Küstner und 52 weitere Gefangene von der Gestapo am 12. April 1945 auf dem Exerzierplatz am Tannenwald in Leipzig-Lindenthal in einem Bombentrichter erschossen. Das Massengrab wurde am 2. Mai 1945 gefunden, die Opfer exhumiert und auf dem evangelischen Friedhof Lindenthal bestattet. Unter den Opfern befanden sich neben anderen Widerstandskämpfern wie Alfred Kästner oder Dr. Margarete Bothe vor allem Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern.


Die Ausstellung „Nie bring‘ Dich der Verdienst um das Verdienst“
Die Leipziger Familie Küstner
ist noch bis zum 29.5.2022 im Studio des Haus Böttchergäßchen zu sehen. Begleitend zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm sowie ein Begleitheft.