Wir haben die Wahl

Ein (Museums-)Jahr der Chancen und Entscheidungen

Blick zurück — nach vorn! Erfahren Sie auch in der neuen Ausgabe unserer Museumszeitung, der MuZe 2024, was uns vergangenes Jahr beschäftigt hat und zu welchen Themen und Vorhaben wir Sie aufs Neue einladen. Getreu unserem Leitmotiv »Geschichte befragen. Gegenwart begreifen. Zukunft gestalten.« gibt die kostenfreie Museumszeitung die Möglichkeit, Stadtgeschichte(n) kennenzulernen und mit unserem ganzen Team in Dialog zu treten. Wir hoffen, den Nerv der Zeit getroffen zu haben und Ihr Interesse als neue und treue Leserschaft abzubilden. Kritisches Feedback ist dabei natürlich wieder ausdrücklich erwünscht.

2024 ist ein Jahr, auf das viele von uns mit wachsender Sorge blicken. Multiple Kriege und Krisen, gesellschaftliche Polarisierungen, Zukunftsängste und Mangellagen, und ausgerechnet jetzt noch all diese Wahlen … Kann ja nur schiefgehen … Doch Moment: Sollte nicht die Möglichkeit, in freier Wahl den Kurs von Stadt, Land und sogar Europa mitzubestimmen, eher Quell des staatsbürgerlichen Stolzes, ja der Freude sein, in einer offenen Gesellschaft zu leben? Gehörte nicht dieses demokratische Grundrecht zu den tatsächlich eingelösten Kernforderungen der Friedlichen Revolution von 1989?

Mit befreiender Wirkung auch für unsere Museumspraxis: Denn wenn wir im kommenden Herbst in unserem Projekt zu den 1990er Jahren diese für Leipzig in Aufbruch und Abwicklung so prägende Trans­formationszeit beleuchten, dann können wir das deshalb tun, weil wir in unseren Schwerpunkten frei und deutungsoffen sowie im Rahmen verantwortlich verwalteter Ressourcen grundsätzlich auch gestaltungsmächtig sind.

Diese Errungenschaft, die unsere Kolleginnen und Kollegen in den autoritär geknebelten Staaten dieser Welt schmerzlich vermissen und die bis vor kurzem selbst im Nachbar­land Polen nicht mehr selbstver­ständlich war, ist die zentrale und verteidigenswerte Grundlage seriöser Museumsarbeit. Haben wir doch nur so auch die Wahl, uns jenen Traditionen unserer Geschichte zuzuwenden, die wir als Kompass ins Heute und Morgen mitnehmen wollen, und jene kritisch zu hinter­fragen oder auch zu verabschieden, die eher der Selbstbestätigung tradierter Vorurteile und Abgren­zungen dienen.

Als sammelnder Wissensspeicher und kundiger Erinnerungsdienst­leister stehen wir auf der Basis eines modernen Museumsverständnisses unserer Stadt, ihrer Entwicklung und selbstverständlich auch touristischen Attraktivierung engagiert zur Seite; zugleich richten wir mit der Wahl unserer Themen und Vermittlungs­formen bewusst immer wieder einen Scheinwerfer auf verdrängte Themen und marginalisierte Gruppen und generell die Leerstellen und Schattenseiten der eingeführten Erfolgsgeschichten. Dass dieses kri­tisch-offene Mandat eine Verpflich­tung gegenüber der uns tragenden Stadtgesellschaft darstellt, ist uns als Team bewusst; dass wir alle diese Freiheit verständig benutzen, sollte Wahlen auch in schwierigen Zeiten zu jenem Hochamt der Demokratie machen, das Vorkämpferinnen und Vorkämpfer wie Robert Blum und Louise Otto-Peters sowie die auf ihren Schultern stehenden Mütter und Väter der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes sich erhofften. Auch darum vergibt Leipzig in diesem Frühjahr bei uns im Alten Rathaus erstmals den Robert Blum-Preis für Demokratie, der mutige Menschen ehrt, die für sich die Wahl getroffen haben, jenseits ihrer Komfortzone für Parlamentarismus, freie Rede, gesellschaftlichen Zusammenhalt und europäische Verständigung einzutreten.

Denn an keinem anderen Maßstab können wir uns ausrichten — wir haben als Stadtgemeinde, als Fami­lien und Arbeitskollektive täglich und noch immer die Wahl, uns zwischen Egoismen und Endzeitgerede zu zer­fleischen, in Rassismen und Ressenti­ments abzudriften oder nach Erzählungen und Erlebnissen zu suchen, die uns verbinden und anein­ander wachsen lassen. Auch unserer diskursgeladenen Erinnerungskultur täte ein Mehr an Abgewogenheit und Verständigungswille gut — wir müssen die Dinge beim Namen nennen, sollten aber nicht jeden Dis­sens und jede historische Marginali­sierung konfrontativ zuspitzen, sondern um möglichst große Mehr­heiten für zentrale aufklärerische Werte ringen.

An dieser den Respekt vor – mit der Neugier aufeinander verknüpfenden Haltung arbeiten wir als offene Orte der Bildung und Begegnung mit ganzer Kraft.

Auf der immerwährenden Wahlliste demokratiestärkender Institutionen beanspruchen deshalb Geschichtsmuseen mit Recht einen vorderen Listenplatz — machen Sie vertrauensvoll auch in diesem Jahr wieder ihr Kreuz bei uns!

Denn auch Sie haben nunmehr erweiterte Wahlmöglichkeiten — eröffnet doch die Eintrittsfreiheit unserer Dauerausstellungen die Chance, ganz nach Wunsch das Spektrum unserer Angebote und Öffnungszeiten auszuschöpfen und auch die verborgenen Schätze und Seitenstränge der Präsentationen im Alten Rathaus, Schillerhaus, Capa-Haus und bald auch wieder Museum zum Arabischen Coffe Baum zu entdecken. Nutzen Sie gern diese von Stadtrat und Stadtverwaltung ermöglichte Teilhabe und besuchen Sie auch die aufwendig vorbereiteten und daher im Regelfall weiterhin eintrittspflichtigen Sonderschauen, die erneut ein reiches Spektrum an Wahlmöglichkeiten bereithalten. Die sprichwörtliche »letzte Adresse« gibt darum zwar unserer Ausstellung zur Leipziger Bestattungskultur im Wandel der Epochen ihren Namen — Museen wie das unsere haben in ihrer Historie jedoch bewiesen, dass sie den Dingen und Geschichten in lebendiger Neuaneignung zugleich lange Dauer wie aktuelle Relevanz verleihen können.

Wer sich ihnen anvertraut, hat stets eine gute Wahl getroffen — alles andere müssen wir als liberale Gesellschaft und wehrhafte Demo­kratie mit Mut und Augenmaß lösen. Vor den kurzschlüssigen Denkzet­teln sollte das verantwortungsbewusste (Nach-)Denken stehen; was eine zugleich empathisch wie kritisch angeeignete Geschichte dazu beitragen kann, bringen wir auch 2024 engagiert ein.


Die digitale MuZe können Sie hier herunterladen: PDF

PS: Möchten Sie statt der digitalen doch lieber die gedruckte Ausgabe lesen? Oder möchten Sie, dass jemand aus dem Bekannten-, Freundes- oder Familienkreis eine Ausgabe per Post erhält? Geben Sie gern per E-Mail an stadtmuseum@leipzig.de eine kurze Rückmeldung.

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